Mit dem Traktor über die Verwandten-Autobahn
Regelmäßig zieht es mich für ein Wochenende in die Heimat, in die schöne sonnige Pfalz. Als ich frisch nach Köln gezogen war, lockte meine Mama mich stets mit einer meiner Leibspeisen zurück nach Hause – Spätzle mit Gulasch. Definitiv einer der Vorzüge, wenn man die heimischen Gefilde zurücklässt und flügge wird. Inzwischen sind vier Jahre ins Land gezogen, in der Domstadt fühle ich mich inzwischen wirklich zuhause und angekommen.
An einem Wochenende im September ging es wieder einmal gen Süden. Der Anlass diesmal war ein Geburtstag der Freundin meines Cousins sowie deren Einweihungsfeier. Wie der gesamte Trupp rund um meine Verwandtschaft mütterlicherseits wohnen sie im beschaulichen Kraichtal in Baden-Württemberg – rund eine Dreiviertelstunde von meiner Heimatstadt Kandel entfernt. Kandel zählt mit seinen circa 8.000 Einwohnern schon als Stadt inklusive idyllischer Einkaufsstraße und mehreren Dönerläden. Im Vergleich zu Köln entspricht es natürlich einem winzigen Fleck auf der Landkarte. Wenn wir nun zu unseren Verwandten fahren, werden die Gemeinden aber noch weitaus kleiner. Im Dorf, wo das Elternhaus meiner Großmutter steht, gibt es eine Sporthalle, einen Bolzplatz, eine Bushaltestelle und einen Friedhof. Ohne Auto geht hier wenig.
Im Dorf meiner Verwandschaft herrscht Idylle pur. Allzu gerne komme ich hierher – der perfekte Ausgleich zum Stadtleben.
Und doch: Das Dorf boomt. Entgegen des allgemeinen Trends ziehen hier junge Leute zu. Es gibt sogar ein Neubaugebiet, inzwischen sprechen meine Verwandten schon vom Dorfkern und den „Neuen da oben“. Mein Cousin und seine Freundin waren längere Zeit vergeblich auf Wohnungssuche, es gab schlicht kein einziges freistehendes Angebot. Wie das dann aber so kommt, hört einer was von jemandem, der jemanden kennt . Zack – jetzt hatten sie zur Einweihungsfeier geladen.
Als sie mich durch die Wohnung führten, fiel mir langsam aber stetig die Kinnlade runter. Das Wohnzimmer ist so groß, dass ich ihnen direkt vorschlug, mit Paartanz zu beginnen – Übungsfläche ist reichlich vorhanden. Gäste-WC, Gästezimmer, Büro, Schlafzimmer, über 125 Quadratmeter plus für Kölner Verhältnisse mittelgroßem, für Dorfverhältnisse kleinem Garten und großer Terrasse. Garage inklusive direktem Zugang zur Wohnung. Schon ganz automatisch überschlage ich im Kopf, was das in der Rheinmetropole kosten würde. 1.700 Euro? Oder gar mehr? Hier zahlt man 1.000 Euro und das gilt als teuer.
Ich liebe diese Treffen bei meinen Verwandten, freue mich über jedes bekannte Gesicht, das ich oftmals schon viele Wochen nicht gesehen habe. Das war nicht immer so. Als Kind war mir all der Trubel zu viel, ich zu schüchtern und zu sehr Einzelkind, ich habe mich oft ins Gästezimmer zurückgezogen und kurze Zeit versteckt. Oftmals musste man sich aber schon allein wegen der zuvor verspeisten Mahlzeiten und Kaffeekränzchen hinlegen – gegessen wurde hier schon immer gerne, viel und gut. Eine Alternative zum Verdauungsspaziergang war das Verdauungsschläfchen.
Seit ich in Köln wohne, komme ich meistens zu den großen Familientreffen an Ostern, Weihnachten und Geburtstagen zur Familie. Da zwischen diesen Treffen oft Monate vergehen, verpasse ich natürlich das alltägliche Geschehen bei meinen Verwandten. In meinem Kopf erscheint dazu immer der Begriff „Verwandten-Autobahn“. Wenn ich mal wieder vorbeischaute, erfuhr ich, dass sich meine Cousine von ihrem Freund getrennt hatte. Lernte die neue Freundin meines Cousins kennen. Hörte, dass meine Cousine und ihr Ex einen Neuanfang wagten. Bekam erzählt, dass mein Cousin seine Meisterschule begonnen hatte. Und erfuhr wiederum, dass die aufgewärmte Liebe meiner Cousine ohne Erfolg geblieben war. Es erschien mir, als würde ich mit einem Traktor über die Landstraße fahren, während meine Verwandten rasend schnell auf der Autobahn unterwegs waren. Bei jedem Wiedersehen waren sie eine Station weitergekommen auf ihrem Lebensweg. Derweil veränderte sich bei mir persönlich in dieser Zeit wenig. Es ist natürlich auch ein Unterschied, ob man neue Bekanntschaften mal eben mit zum Abendessen bei der Familie mitnimmt oder dafür zunächst fast 300 Kilometer in die Heimat fährt. Tatsächlich habe ich noch nie jemanden aus Köln mit in meine Heimat genommen. Liebend gerne würde ich meinen Kölner Freunden die Schönheit der Pfalz vorstellen. Und irgendwie hätte ich Lust, selbst mal mit Neuigkeiten auf die Verwandten-Autobahn aufzufahren. Irgendwann wird der Tag schon kommen. Bis dahin geht’s weiter mit dem Traktor voran.
… sondern auch geliebte Vierbeiner.
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